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«Von der Schweiz können wir viel lernen!»

Wie sind Sie an die Front von EUROCAM gekommen?

Ton Nicolai: Ich war ein ganz normaler Hausarzt (lacht). Als ich eine Ausbildung in Akupunktur absolvierte, traf ich auf Kollegen, die ebenfalls andere Wege suchten, um Patienten zu helfen. Es öffnete sich eine komplett neue Welt für mich.

Darf man EUROCAM auch als Instrument verstehen, welches all das Wissen und die Entwicklung im Bereich Komplementärmedizin zusammenfasst und die aktuellen Erkenntnisse nach innen wie nach aussen trägt?

So ist es. Zu den Wissensträgern gehören Mediziner, Veterinäre oder Therapeuten, die im Bereich Komplementärmedizin arbeiten. Unser Ziel ist eine umfassende Position für komplementäre Therapieformen. Wir wollen zugänglich, begreifbar und erschwinglich sein für alle, die von komplementären Therapien Gebrauch machen möchten. Wir sind Interessensvertreter, die auf bestehende Probleme oder Entwicklungen aufmerksam machen.

Nennen Sie uns bitte ein Beispiel.

Wir möchten einen signifikanten Beitrag leisten zur Reduktion der Antibiotikaresistenz, zur Verhinderung nichtübertragbarer Krankheiten und nicht zuletzt zur Senkung der Gesundheitskosten.

Wie sieht ihr persönlicher Alltag aus bei EUROCAM?

Wir sind in regem Kontakt mit den europäischen Behörden, bei denen wir wiederkehrend Vorschläge einreichen. Letztes Jahr ging es um die Legalisierung der Homöopathie in der Veterinärmedizin. Wir verfassen Positionspapiere, schreiben Briefe mit Forderungen und führen Telefongespräche mit den Mitgliedern des Europäischen Parlaments. Darüber hinaus pflegen wir den Kontakt mit Ministern in den Regierungen anderer Länder.

Kommt die europäische Kommission auch auf Sie zu mit Anliegen?

Ja. Das sind Umfragen oder gewünschte Beratungen zu einem bestimmten Thema. Hier wird oft nach den Beurteilungen der einzelnen Interessengruppen gefragt.

Wer ist alles im Boot bei EUROCAM?

Wir haben insgesamt 13 europäische und internationale Dachverbände im Bereich Komplementärmedizin. Diese vereinen wiederum 250 nationale Verbände. Davon profitieren über 400 000 Ärzte, Naturheilpraktiker und Therapeuten, die im Bereich Komplementärmedizin arbeiten.

Was sind die drängendsten Fragen?

Zunächst ist es wichtig, politische Präsenz zu markieren in der EU. Wir vertreten den Sektor der komplementären und alternativen Medizin (auf Englisch «complementary and alternative medicine», kurz CAM) und sind auch Ansprechpartner. Des Weiteren sorgen wir für die nötigen Beziehungen unter den einzelnen Institutionen, zu denen auch die World Health Organisation (WHO) gehört.

Und was steht ganz vorne auf der Agenda?

Wir wollen die Behörden darauf aufmerksam machen, dass es einen wachsenden Wunsch in der Bevölkerung gibt nach komplementären Ansätzen in der Medizin. Komplementäre Therapieformen können auch einen Beitrag leisten, wenn es zu Resistenzen kommt bei einer herkömmlichen Behandlung mit Antibiotika. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass sie in diesem Fall auf Therapien mit Kräutern oder auf homöopathische Mittel zurückgreifen können. Wir haben es mit einem zunehmenden Problem zu tun, weil immer mehr Leute resistent reagieren auf Antibiotika-Kuren. Ein weiterer Punkt ist die Zunahme von chronischen Krankheiten. Wir beobachten, dass Patienten nicht selten mit Medikamenten behandelt werden, die starke Nebenwirkungen haben und kaum zu einer Heilung beitragen. Hier können wir echte Alternativen anbieten und das zu niedrigeren Kosten. Leider sind die Behörden zu einseitig informiert. Sie wissen, was die Schulmedizin alles kann, ohne zu ahnen, was die Komplementärmedizin als Ergänzung oder Alternative zu leisten vermag.

Was ist der aktuelle Stand in Europa?

Innerhalb der einzelnen Staaten gibt es eine breite Vielfalt. In den meisten Ländern fehlt es schon an einer einfachen Gesetzgebung. Die Schweiz gehört zu den löblichen Ausnahmen. Wobei einige Länder mehr machen im Bereich der Registrierung von Organisationen als andere. Dann gibt es Regierungen, die Therapien mit Kräutern registrieren lassen, die Homöopathie aber ausschliessen. Und das, obschon die EU hier genaue Vorgaben hat. Warum braucht es EUROCAM?

Mehr als 50 Prozent der Europäer nutzen Therapieformen aus der Komplementärmedizin. Die meisten von ihnen leiden an einer chronischen Krankheit. Alleine bei den Krebspatienten sind es 90 Prozent der Fälle, die zusätzlich komplementäre Therapien nutzen. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Studien, die besagen, dass 70 Prozent der Patienten mit einer ergänzenden TCM- oder Homöopathie-Behandlung ihr Leiden lindern oder gar heilen können. Wie finanziert sich EUROCAM? EUROCAM finanziert sich mit Mitgliederbeiträgen und Spenden. Der Dachverband Komplementärmedizin ist beispielsweise der Vertreter der Schweiz und unterstützt uns finanziell. Wir halten Ausschau nach Förderern. Hier wartet noch eine Menge Arbeit auf uns, denn die Mitgliedschaften allein sind nicht ausreichend. Die finanziellen Ressourcen sind limitiert, wir können uns nicht einmal eine Vollzeitstelle im Sekretariat leisten.

Was ist Ihre grösste Herausforderung in naher Zukunft?

Die Tatsache, dass viele Behörden nach wie vor Vorurteile gegenüber komplementären Behandlungsmethoden hegen und nicht sehen wollen, was TCM, Homöopathie, Ayurveda und andere Disziplinen an wertvoller Arbeit leisten können. Es herrscht die Meinung vor, dass die Schulmedizin DIE Medizin ist. Wir sind glücklich, dass wir die wertvolle Unterstützung der WHO haben. Wir brauchen dringend mehr Mittel, um die Forschung im Bereich Komplementärmedizin voranzutreiben. (Interview: Peter Wäch)

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